Neumond
Neumond
Obwohl ich seit meiner Geburt hier lebe, fasziniert das Meer mich immer wieder aufs Neue.
So saß ich auch in dieser Nacht wieder am Strand. Ich hatte mir ein Lagerfeuer gemacht und trotz des aufkommenden Sturmes, loderte es kraftvoll weiter.
Kein Mond, keine Sterne erhellten die Dunkelheit, nur die Flammen warfen ein wenig Licht auf das wütende Meer.
Der Sturm sammelte mehr und mehr Kraft.
Mit lautem Getöse schlugen die Wellen an den Strand. Die Gischt benetzte mein Gesicht. Die eisige Kälte ließ mich erschauern.
Ich wollte mich an den Flammen aufwärmen. Doch mit Erstaunen stellte ich fest, dass das Feuer kalt war. Das war doch vollkommen unmöglich! Wie konnte ein Feuer kalt sein?
Ich hätte mir eine Decke mitnehmen sollen. Doch wer konnte ahnen, dass nach einem so heißem Sommertag diese Nacht so kalt werden würde?
Ich wand mich etwas vom Meer ab, damit der Sturm mir nicht so heftig ins Gesicht blasen konnte.
Ich hätte auch einfach nach Hause gehen und mich in mein warmes Bett kuscheln können. Aber irgendetwas hinderte mich daran. Es schien mich etwas festzuhalten.
Plötzlich berührte eine Hand mich leicht an der Schulter. Ich spürte die eisigen Finger bis auf die Knochen. Ein Schauer lief mir über den Rücken.
Ich wusste, dass ich alleine hier war. Es war mein geheimer Ort, den außer mir keiner kannte.
Geschah das alles nur in meiner Fantasie?
Ganz langsam., fast in Zeitlupe, drehte ich mich um.
Doch da war niemand.
Ich blickte hinaus aufs Meer und sah eine Frauengestalt in einem weißen, fast durchsichtig schimmerndem Gewand.
Obwohl der Sturm immer noch laut tobte und die Gestalt über den Wellen zu schweben schien, hörte ich, wie ihre Stimme mir leise ins Ohr säuselte.
Sie flüsterte mir beschwörend zu, dass ich zu ihr kommen und sie aus ihrer Einsamkeit befreien sollte.
23.05.12
Die geisterhafte Gestalt machte mir Angst, doch gleichzeitig spürte ich ein unbändiges Verlangen, zu ihr zu gehen.
Sie streckte mir ihre Arme fast flehend entgegen. Wollte sie meine Hilfe oder mich mit in ihr einsames Grab ziehen?
Ihre eisigen Augen durchbohrten mich und ließen mich immer wieder aufs neue erschauern. Sie schienen mich magisch anzuziehen. Ihr kalter Blick fesselte mich.
Und doch fühlte ich mich nicht unwohl. Die Angst war plötzlich verschwunden und einer inneren Ruhe gewichen. Auch die Kälte tat nicht mehr so weh.
Wie in Trance folgte ich ihren Rufen. Das eisige Wasser umspülte meine Knöchel. Die spitzen Steine unter meinen Füßen bemerkte ich gar nicht.
In der Dunkelheit sah ich nicht, wie sich das Wasser durch das Blut langsam rot färbte.
Als ich die fremde Frau wieder nach mir rufen hörte, wurden meine Schritte schneller. Ich bewegte mich, als würde ich auf einer Wiese laufen und nicht im Meer, dass mich ganz langsam immer mehr in seine kalten, nassen Arme nahm.
Obwohl ich immer tiefer ins Wasser ging, schien ich der Gestalt kein bisschen näher zu kommen. Sie bewegte sich keinen Zentimeter und doch blieb die Entfernung zwischen uns immer gleich.
Noch vor ein paar Stunden, hätte das alles für mich keinen Sinn ergeben. Mir wäre klar gewesen, dass es nur ein Trugbild sein kann. Doch in dieser finsteren, stürmischen Nacht, wirkte die Magie des Meeres auf mich und alles logische Denken war von mir gewichen.............
26.05.12
Noch während ich voller Ehrfurcht die Frau in weiß betrachtete, erschien hinter ihr plötzlich ein hagerer Mann, dessen graues Haar ein silbernes Funkeln in der Dunkelheit verbreitete. Er sah mich mit einem ebenso eisigen Blick an, wie die Frau es schon die ganze Zeit tat.
Ich spürte, wie sie jetzt beide versuchten, mich zu sich zu ziehen.
Die starke Anziehungskraft, die von ihnen ausging, jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken.. Zum ersten mal in dieser Nacht verspürte ich Unbehagen. Angst kam in mir auf. Ich wollte nicht mit ihnen gehen
Doch es war bereits zu spät.
Sie hatten mich fest in ihrem Bann. Jeder Versuch, mich diesem unheimlichen Paar zu entziehen, war vergebens. Ich versuchte mich so gut es ging, gegen diese übermenschliche Macht zu wehren. Aber meine Kräfte schwanden mit jeder Sekunde mehr und mehr. Ich fühlte mich wie eine Marionette, die sich dem Strippenzieher willenlos ausliefern musste.
Dieses geisterhafte Paar, hatte es geschafft, meinen Willen zu brechen.
Auf einem Mal spürte ich, wie mich starke Arme von hinten umfassten und mich mit sanfter Gewalt an sich zogen. Wärme durchflutete meinen Körper.
Bleib bei mir, flüsterte mir eine männliche Stimme zu.
Mit einem Mal, wurde das wütende Meer ganz ruhig.
Blutrot stieg die Sonne aus dem Meer empor.
Möwen zogen laut kreischend am Morgenhimmel ihre Bahnen.
Ich bin so erschöpft von dieser unheimlichen Nacht, dass ich fast zusammengesunken wäre. Doch du fängst mich auf und trägst mich, fest an dich gedrückt, zurück an den noch menschenleeren Strand.. Ich lausche deinem Herzschlag und bin in deinen Armen eingeschlafen, noch bevor wir das sichere Ufer erreicht haben.
.........................Ende.........................
Manuela
29.05.12
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